von
Wilfried Schwerin von Krosigk
für die Ausstellung „Intimacy – Baden in der Kunst“ im Kunstmuseum Ahlen
Der Tatort ist bereits mit rot-weiß gestreiftem Flatterband abgesperrt, als die Kriminaltechniker von der Spurensicherung in sterilen weißen Schutzanzügen mit Plastikhauben und Handschuhen den Raum betreten. Schon ein einzelnes Haar, ein winziger Hautpartikel oder eine mikroskopische Stofffaser der hinzukommenden Ermittler könnte den Tatort verfälschen und die Spurensuche in eine falsche Richtung leiten. Während ein Kriminalbeamter das spartanische Zimmer mit dem Mordopfer in der mit Tüchern ausgelegten Badewanne von allen Seiten fotografiert, wird die erste Bestandsaufnahme mit nüchterner Professionalität in ein Aufnahmegerät diktiert. Im bereits erkalteten und blutrot gefärbten Badewasser lehnt in halb sitzender Position eine unbekleidete männliche Leiche, circa fünfzig Jahre alt, mit einer singulären Stichwunde zwischen Hals und Brust oberhalb des rechten Schlüsselbeins. Der schlaff über den Wannenrand hängende Arm zeigt, dass rigor mortis noch nicht eingesetzt hat, was bedeutet, dass der Todeszeitpunkt nicht länger als vier Stunden zurückliegen kann. Aus den bläulichen und violetten Hautverfärbungen, die durch eine Absenkung des Blutes unter dem Einfluss der Schwerkraft verursacht wurden, lässt sich folgern, dass mindestens dreißig Minuten seit dem Todeseintritt vergangen sind. Eine präzisere zeitliche Eingrenzung durch routinemäßige Messung der rektalen Körpertemperatur kann aufgrund der Umgebungstemperatur des Badewassers kein eindeutiges Resultat erbringen. Das auf dem Boden liegende Küchenmesser mit blutiger Klinge wird unschwer als Mordwaffe identifiziert. Auf dem Griff hat der Täter seine Fingerabdrücke hinterlassen, was auf einen Amateur hindeutet. Eine Banknote, die auf einer als Ablage benutzen Holzkiste liegt, lässt Raubmord als unwahrscheinlich erscheinen. Zudem können die Kriminaltechniker nicht die geringsten Spuren eines Kampfes feststellen und auch das Opfer zeigt keine Abwehrverletzungen. Vielmehr lässt die Intimität der Situation vermuten, dass Opfer und Täter sich gekannt hatten. Der eintreffende Hauptkommissar geht daher zunächst von einer Beziehungstat aus und schickt sein Team von der Mordkommission auf die Suche nach einer Frau, die das Gebäude innerhalb der letzten dreieinhalb Stunden verlassen hat.
So könnte ein von Jacques-Louis Davids Bildnis des ermordeten Marat inspiriertes Drehbuch beginnen. Die Dramaturgie des Films würde sich im Folgenden nach den Regeln des Krimigenres des „Whoddunnit“ richten, in dem die Suche nach dem Täter durch die ermittelnden Behörden im Vordergrund der sich entwickelnden Geschichte steht. In dem geschilderten Szenario ist die eigentliche Tat bereits geschehen. Der Tatort Bad wird zu einem Zeitfenster in die Vergangenheit.
Der Thriller hingegen bezieht seine Dynamik durch unmittelbare, gegenwärtige Gefahrenmomente, durch den Schock. Die Zuschauerperspektive nimmt den Blickpunkt des Opfers oder des Täters ein, gelegentlich auch im Wechsel, und keine der Parteien darf sich in Sicherheit wiegen. Fest verankert im kollektiven Filmgedächtnis ist die Duschszene von Hitchcocks „Psycho“, in der Janet Leigh als attraktive Blondine mit zurückgelegtem Kopf entspannt die Wasserstrahlen des Brausekopfes wie einen warmen, tropischen Regenfall auf sich nieder prasseln lässt. Auf der Flucht mit unterschlagenem Geld und geplagt von Ängsten und Schuldgefühlen, erlebt die Protagonistin unter der Dusche einen Moment des selbstvergessenen Glücks, fast pränatal anmutend im warmen, nassen, scheinbar geschützten Raum. Die äußere Realität wird mittels eines Duschvorhangs wie mit dem Weichzeichner in milchig verschwommene Ferne verbannt. Wir gönnen der schönen Nackten die genüssliche Entspannung, bis uns der Atem stockt, als sich hinter der Ahnungslosen leise die Badezimmertür öffnet und eine bedrohliche, dunkle Gestalt, nur schemenhaft erkennbar durch den semitransparenten Duschvorhang, die Hand mit dem Messer hebt. Der brutale Kontrast, in schneller Abfolge nun: Vorhang, Messer, Körper, Wanne, Blut, Schrei, Wasser – und am Ende strudelt das Blut des Opfers in den Abfluss, auf dessen runder Öffnung in eine schwarze Tiefe die Kamera lange verweilt, bevor das Loch mittels einer Überblende nahtlos in die erstarrte Pupille des Opfers übergeht. Hitchcock hat für diese Schlüsselszene des Filmes, die weniger als eine Minute dauert, siebzig Kameraeinstellungen gedreht, wie er in seinem Interview mit Francois Truffaut erzählt. Die kurz aufblitzenden Bilder sind so montiert, dass während des Mordes Zeit und Raum wie in einem kubistischen Bild in einzelne Fragmente zerstückelt werden. Am Ende verharrt die Kamera lange auf dem fassungslosen Gesicht des Opfers, das im Sterben nach einem letzten Halt greift und dabei den Duschvorhang herunterreißt, als würde es der tödlichen Wahrheit den Schleier vom Gesicht ziehen.
Der Zuschauer wird in „Psycho“ zum Voyeur, sagt Hitchcock. Der völlig überraschende Mord unter der Dusche, der die Hauptdarstellerin gegen jede dramaturgische Konvention schon im ersten Drittel des Films umkommen lässt, war die Szene, die Hitchcock an diesem Film in erster Linie interessiert hatte. Die Dreharbeiten nur für die Duschszene dauerten sieben Tage, wesentlich länger als für die übrigen Szenen der ansonsten sehr schnell heruntergekurbelten Low-Budget-Produktion. Der Film hat, wie Hitchcock erklärt, weder eine Botschaft, noch ein besonderes Thema oder interessante Charaktere. Es ging ihm einzig und allein darum, das Publikum zum Schreien zu bringen, eine „Massenemotion“ herzustellen. Der Film sollte die Zuschauer tief im Inneren erschüttern. „In Psycho habe ich“, sagt Hitchcock, „das Publikum geführt, als ob ich auf einer Orgel gespielt hätte.“
Den dazu nötigen Voyeurismus konnte der Regisseur im Badezimmer ungleich besser bedienen als etwa im Schlafzimmer oder in der Küche. Schließlich werden hier mehrere disparate Elemente zu einem spannungsvollen Ensemble zusammengeführt: Die Erotik einer schönen Frau, ihre nackte Verletzlichkeit, die sterile Kühle des hell beleuchteten, gekachelten Raumes und die dunkle Präsenz einer nicht identifizierbaren „schwarzen“ Gestalt. Nach der Mordtat weckt das saubere Abfließen des Blutes die Assoziation an ein Schlachthaus und praktischerweise kann die Leiche im Duschvorhang eingewickelt vom Mörder problemlos entsorgt werden. Der Tatort Bad wird zur Werkstatt des Todes.
Im Horrorfilm „A Nightmare on Elm Street“ werden die jungen Heldinnen von einer mit mörderischen Messerhänden bestückten und mit Filzhut auftretenden lebenden Leiche heimgesucht. Der schaurige Antagonist Freddy – durch Lynchjustiz der Gemeinschaft zu Tode gekommen – manifestiert sich als sardonisch lachende Inkarnation verdrängter Ängste und Schuldgefühle, der seinen Opfern immer dann erscheint, wenn die Mädchen – durch Schlaf oder halbschlafende Tagträumerei – wehrlos sind und empfänglich für die schaurige Botschaft, die diese Chimäre der kollektiven Verdrängung ihnen gewaltsam überbringt. Der Film zeigt an zentraler Stelle ein junges Mädchen, das friedlich in der dampfenden Badewanne döst und nicht merkt, wie die mit Messerklingen bestückte Hand des Antagonisten Freddy langsam zwischen ihren Beinen aus dem Wasser taucht, um sie in eine unergründliche Tiefe zu ziehen, aus der die Oberfläche des Schaumbads als leuchtende ovale Wannenform wie das ferne Licht am Ende eines Tunnels erscheint. Der Tatort Bad als Schleuse zum Unterbewusstsein.
Im Bad bekommen die Dinge etwas Unwirkliches, eine neue, unheimliche Bedeutung, die sich verschwommen abzuzeichnen beginnt. Ein bevorzugtes Szenario für konspirative Treffen und ein gerne frequentierter Ort für heimtückische Attentate ist daher das öffentliche Dampfbad, wo Geheimagenten, Mafiosi und ähnliche Dunkelmänner nur mit Badetüchern bekleidet im Schutz diffuser Nebelschwaden leise murmelnd ihre Geschäftsbesprechungen abhalten. Doch die friedliche Badeidylle ist meistens – denn so arbeitet die Dramaturgie im Thriller – trügerisch. Es braucht nur einen Funken, damit die dampfgesättigte Atmosphäre in einem jähen Gewitter ihr aufgestautes Gewaltpotential entladen kann. Etwa in dem Agententhriller „Red Heat“, wo Arnold Schwarzenegger als Spion in muskulöser Nacktheit eine Schlägerei anzettelt, in deren Verlauf er durch die aufsplitternden Wände des russischen Dampfbads wie ein neugeborenes Baby aus dem Mutterleib in eine eiskalte Schneelandschaft geschleudert wird. Es wundert kaum, dass das Dampfbad auch ein bevorzugtes Tätigkeitsfeld des Auftragskillers ist, der hier Gelegenheit findet, sich heimlich an sein Zielobjekt heranzupirschen, um nach vollendeter Tat wieder im geräuschedämpfenden Nebel zu verschwinden. Im Thriller „Eastern Promises“ von David Cronenberg leistet das nackte und verletzlich wirkende Opfer allerdings unerwartet heftige Gegenwehr und kann in einer bizarren Orgie der Gewalt den Spieß umdrehen und seinen schwarz gekleideten Angreifern – wie schon in „Psycho“ ist das eindringende Böse im Thriller fast immer schwarz – den Garaus machen. Nach der Tat kauert das blutverschmierte Opfer sich wie ein Embryo auf dem klinisch weißen Fliesenboden zusammen. Tod und Geburt liegen im Tatort Bad nahe beieinander.
Das Badezimmer ist ein Ort, wo der Mensch mit Vorliebe mit sich allein ist. Hier schließt der Protagonist sich ein, um unbeobachtet zu sein, um nicht gestört oder überrascht zu werden, um ganz bei sich sein zu können. Es ist das einzige Zimmer im Haus, das ausdrücklich für das Alleinsein konzipiert ist. Nicht ohne Grund wird das Bad auch Nasszelle genannt, der Raum, in dem der Mensch sich unter fluoreszierendem Kunstlicht, das von gekachelten Wänden und Fliesen in klinischem Weiß, dem bevorzugten Farbton des haushaltsüblichen Badezimmers, reflektiert wird, als Insasse einer Gefängniszelle fühlen darf, in der Gefangener und Wärter identisch sind. Oder es ist wie die Zelle eines Mönches, der fern von der Welt in der Einsamkeit seiner Enklave das Zwiegespräch mit sich selber sucht. Ein Zwiegespräch, das in dem Film „Taxidriver“ von Martin Scorsese zur aggressiven Provokation gesteigert wird. „You’re talking to me?“ fragt Robert de Niro sein Spiegelbild mit drohender Miene und stellt nach einem demonstrativen Rundumblick mit sarkastischem Lächeln klar: „I am the ony one here!“
Wie verstörend es ist, wenn diese private Sphäre des Badezimmers in Frage gestellt wird, skizziert Loriot mit psychologischer Eindringlichkeit in seinem Ausnahmeszenario von zwei Männern in gesetztem Alter, die sich nach Verwechslung der Hotelzimmer aufgrund einer nicht ungewöhnlichen Kombination aus Sturheit und Besserwisserei in der gleichen Badewanne gegenüber sitzen und in zivilisierter aber energischer Form um eine Badeente streiten. Bei aller Satire dieses beliebten Animationssketches bleibt durch die Verletzung des Schutzraumes Bad ein Rest an genuinem Unbehagen zurück.
Im Normalfall jedoch trifft der Protagonist im Badezimmer zunächst nur auf sich selbst. Aber Entspannung findet er dabei kaum, denn durch den Spiegel mutiert der eigene Körper sogleich zum bedrohlichen Antagonisten. Der Gruselthriller „Mirrors“ von Alexandre Aja zeigt, wie Kiefer Sutherland im Badezimmerspiegel beobachtet, wie sich sein Gesicht im Spiegel ganz ohne sein Zutun zu einer höhnischen Grimasse verzerrt. Hier ist die Parallelwelt im Spiegel böse, das Spiegelbild entwickelt ein Eigenleben und trachtet seinem Gegenüber nach dem Leben. In seinem verzweifelten Versuch, die eigene Familie vor einer mörderischen Invasion der Spiegeldämonen zu schützen, übermalt der Protagonist konsequenterweise alle Spiegel im Haus mit schwarzer Farbe.
Doch vor den Dämonen im Spiegel gibt es kein Entkommen. Jeder Blick in den Badezimmerspiegel macht deutlich, wie der Körper sich verändert. Das Spiegelbild weist schonungslos auf den irreversiblen Alterungsprozess hin. Es ist vor allem die schöne Frau, die den Kampf gegen ihre Antagonistin aufnimmt, die ihr höhnisch aus dem Spiegel entgegen schaut. Täglich immer wieder von neuem lässt sie sich darauf ein, die Vergänglichkeit der Schönheit mit kosmetischen Manipulationen zu überlisten, obwohl sie bereits weiß, dass hinter der Vergänglichkeit der Tod lauert. Der Mann weicht lieber aus. Er denunziert sein Spiegelbild, verspottet es, straft es mit Verachtung oder sublimiert es künstlerisch wie im „Bildnis des Dorian Gray“, wo das gemalte Bild den unangenehmen Teil des Älterwerdens übernehmen muss. In Umkehrung davon zeigt Stanley Kubrick in „The Shining“ wie der allmählich dem Wahnsinn verfallende Jack Nicholson als Hüter des leerstehenden Grandhotels eine aus der Badewanne steigende nackte junge Schönheit umarmt, bis er bei einem Blick in den Badezimmerspiegel voller Schrecken entdeckt, dass sie sich in eine runzlige Greisin verwandelt hat. Ein Wahnbild muss dem anderen weichen, so dass Protagonist und Zuschauer zugleich daran erinnert werden, sich nicht auf die Projektionen der eigenen Fantasien zu verlassen.
Der Blick in den Spiegel ist, wie schon die an ihrer Schönheit zweifelnde Stiefmutter von Schneewittchen feststellen musste, nicht ungefährlich. Es ist eine fremde, eine spiegelverkehrte Welt, die das Fundament der Realität ins Wanken bringt. In „The Shining“ rückt die Wirklichkeit immer mehr in eine surreale Schieflage, wie die Ehefrau des zunehmend psychotisch agierenden Mannes – in verletzlicher Verstörung eindringlich gespielt von Shelley Duvall – zu ihrem Entsetzen erkennen muss, als sich bei einem Blick in den Spiegel das merkwürdige Wort „Redrum“, das ihr kleiner Sohn in manischer Besessenheit an die Wände schreibt, als Spiegelschrift entlarvt und zu „Murder“ wird. Am Ende des Horrorfilms wird das winzige Badezimmer in der kleinen Hausmeisterloge des Grandhotels der einzige Zufluchtsort sein, an dem sie sich vor ihrem rasenden Verfolger sicher wähnt. Und, wie so oft im Film, erweist sich der letzte Ort, das Versteck am Ende des Ganges, als Sackgasse und macht den Tatort Bad zur Todesfalle.
In Polanskis Film „Repulsion“ glaubt Catherine Deneuve, die mit dieser Rolle einer menschenscheuen, jungen Frau, die sich nicht mehr in der Realität zurechtfindet, international bekannt wurde, plötzlich einen fremden Mann durch ihren Badezimmerspiegel huschen zu sehen. Es ist der Anfang einer Reihe verstörender Vorfälle, die dazu führen, dass die psychotische Frau ausgerechnet den Mann mit einem Kerzenleuchter erschlägt, der gekommen ist, um sie zu retten. Anschließend entsorgt sie den Toten in der Badewanne. Polanskis Film ist oft mit Hitchcocks „Psycho“ verglichen worden, dabei sind die beiden Filme in ihrer Intention weit voneinander entfernt. Obwohl sie sich in ihrer surrealen Alptraum-Ästhetik verzerrter Perspektiven und unwirklichen Montagen ähneln, geht es bei Polanski nicht um einen Thriller aus der Perspektive des Zuschauers, sondern darum, den fortschreitenden seelischen Verfall der Heldin aus subjektiver Sicht zu zeigen.
Das Badezimmer wird zum perfekten Ort der Tat, weil der Mensch, das Opfer, in seiner Nacktheit schutzlos und verletzlich dem Täter ausgeliefert ist. Hier kommt es zur Konfrontation mit der reinen, unverblümten Wahrheit, es gibt keine Rückzugsmöglichkeiten mehr, keine Verteidigung, kein Schönreden. Alle heimlichen Befürchtungen und schlummernden Ängste werden existenzielle Realität. Wenn die Heldin dazu noch ihr Augenlicht verloren hat und das dicht neben ihr angerichtete Blutbad gar nicht wahrnimmt, wie in „See no Evil“ mit Mia Farrow, dann wird die Schutzlosigkeit auf die Spitze getrieben. Die blinde Protagonistin, die in routinierter Geschäftigkeit ihren Verrichtungen nachgeht, ohne die Schrecken um sie herum zu bemerken, agiert hier ihre verdrängten, bedrohlichen Erinnerungen aus, oder wie es im Englischen so treffend heißt, sie inszeniert ihre eigenen „skeletons in the closet“.
Die Tat ist definiert als eine Handlung, die Konsequenzen hat, und was von der Mordtat zurück bleibt, ist die Leiche in der Badewanne. Wenn der Täter nicht das Know-how und die Zutaten besitzt, um das Corpus delicti vollständig im Säurebad aufzulösen, wird der belastende Körper zur Erleichterung des Abtransports in handliche Einzelteile zersägt und in den Duschvorhang oder Müllsäcke verpackt, die in sumpfigen Tümpeln versenkt oder in unwegsamem Waldgelände verscharrt werden. Dann, wenn die grobe Arbeit getan ist, wird als letztes das Blut durch die reinigende Wirkung des Wassers in Verbindung mit einem effektiven Abflusssystem weggespült, der Mörder und sein Tatort wieder auf Hochglanz geputzt. Blitzsauber und fleckenlos kommt der Täter aus dem Bad, als hätte er die Absolution erhalten. Wie Pontius Pilatus hat er sich die Hände von jeder Verantwortung frei gewaschen und alles in seinen Möglichkeiten getan, um den Tatort Bad in eine Gewissenswaschanlage zu verwandeln.
Die weißen Kacheln des Badezimmers mögen zwar in frischem Oberflächenglanz strahlen, sind aber in der Realität nicht porentief rein. Denn wie sehr der Täter auch geschrubbt hat, in den Rillen bleiben mikroskopisch winzige Indizien zurück, Fasern, Haare, Hautschuppen und DNA-Spuren, die den Experten von der Spurensicherung die notwendigen Hinweise zur Aufklärung des Falles liefern werden. Falls der Mörder sich nicht ohnehin vorher selbst verrät. Dostojewski zeigt in seinem Roman „Verbrechen und Strafe“, dass sich die Schuld auf Dauer nicht verdrängen lässt, es sei denn, der Täter gewöhnt sich mit der Zeit ganz einfach an sein schlechtes Gewissen, wie Woody Allen in der ironisch-bissigen Dostojewski-Interpretation „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ vorschlägt, so dass jede Konsequenz ausbleibt. Der Rest an Unbehagen wird durch das Festhalten an alltäglichen Ritualen oder durch Alkohol ins allmähliche Vergessen verbannt.
Nicht immer jedoch lassen die Indizien eindeutig auf Mord schließen. Die Leiche eines vollständig bekleideten deutschen Politikers im Badewasser seiner Genfer Hotelbadewanne hat bis heute viele Fragen aufgeworfen. Ist er von Auftragskillern ermordet worden oder war es ein inszenierter Selbstmord? Auch nach Einstellung der offiziellen Mordermittlungen bleibt trotz aller Rekonstruktionsversuche das tatsächliche Geschehen im Dunkeln und das Badewasser kann allenfalls zur Nährlösung für einen neuen Mythos werden.
Das Rätsel des in der gefüllten Badewanne liegenden Politikers mit weißem Hemd, korrekter Krawatte und dunklem Anzug weist hingegen verblüffende Parallelen zu dem Filmklassiker „Diabolique“ von Henri-Georges Clouzot auf, in dem ein ähnlich korrekt gekleideter Mann von zwei Frauen mit in Whiskey aufgelöstem Schlafmittel betäubt und anschließend in der Badewanne ertränkt wird. In diesem Fall stellt sich der Mord als perfides Täuschungsmanöver unter Mitwirkung der noch höchst lebendigen Leiche heraus, inszeniert, um die reiche, kränkelnde Ehefrau des angeblich Ermordeten mittels psychologischer Schockbehandlung aus dem Leben zu befördern.
Ein doppeltes Spiel treibt auch Cary Grant, der im Film „Charade“ korrekt gekleidet mit Schlips und Anzug unter der laufenden Dusche steht und sich vor den verblüfften Augen von Audrey Hepburn seinen durchnässten Anzug einseift, als sei es das Natürlichste in der Welt. Das erlaubt zumindest die Schlussfolgerung, einem Szenario mit komplett bekleideten Personen unter der Dusche oder in der Wanne niemals vorbehaltlos trauen zu dürfen. Benimmregeln und Kleidervorschriften für die Benutzung des Bades sind eindeutig und ihre Verletzung weist unter greller Halogenbestrahlung überdeutlich darauf hin, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Wenn der Badeschaum langsam einen rötlichen Ton annimmt, weil der Selbstmörder sich die Pulsadern aufgeschnitten hat und im wohlig warmen Badewasser entspannt seinem Ende entgegendämmert, lässt sich kaum eine angenehmere Todesart vorstellen. Schmerzlos gleitet der Suizidant ausblutend vom Leben in den Tod, wobei er im Falle des römischen Philosophen Seneca noch die Muße findet, letzte Gedanken für die Nachwelt zu diktieren. Ganz anders das Bild, wenn die Leiche mit in Agonie verzerrten Gesichtszügen neben elektrischem Gerät in der Badewanne gefunden wird. Vielleicht war der durch Unachtsamkeit ins Wasser geratene Föhn ein Unfall. Wie verführerisch ist es aber, diesen klassischen Tötungsapparat mit einer diskreten, kleinen Handbewegung in die Wanne zu schubsen, um ein lästiges Eheproblem endgültig zu beseitigen? Ein Sonderfall der beliebten Föhnvariante ist als elektrischer Handschuh bekannt geworden, den sich ein Wissenschaftler gebastelt hatte, um damit seinen Kollegen und Nebenbuhler durch Handauflegen umzubringen. Es sollte nach Herzschlag unter der Dusche aussehen, doch das Opfer erkannte rechtzeitig die drohende Gefahr und stieß den behandschuhten Angreifer in Notwehr aus dem Badezimmerfenster. Aber hatte es sich wirklich so abgespielt – oder war dies der phantasievoll ausgeklügelte Plan des Überlebenden, um den perfekten Mord zu begehen? Wer ist hier Täter, wer Opfer? Mangels Zeugen wird das nicht zu klären sein.
Das dampfende Bad in der Wanne hat eine beruhigende und lähmende Wirkung. Ganz ohne Barbiturate dämmert das Opfer arglos im heißen Schaumwasser, ohne den Einbrecher zu hören, der bereits geräuschlos durch das offene Fenster in die Wohnung eingestiegen ist. Wenn sich der Türknauf zum Badezimmer unmerklich dreht, ist es für das Opfer schon zu spät, um sich gegen die heimtückischen Hände zu wehren, die es von hinten unter Wasser drücken. Es sei denn, es handelt sich um die zähe Glenn Close in dem Film „Fatal Attraction“, die, von Michael Douglas schon tot geglaubt, wie der weiße Hai zum Entsetzen des Zuschauers noch ein Mal zur finalen Attacke aus dem Badewasser taucht.
In dem Mysterythriller „What lies beneath“ liegt das durch eine Injektion gelähmte Opfer, gespielt von Michelle Pfeiffer, in der Badewanne, die sich langsam mit Wasser füllt, und muss bei vollem Bewusstsein hilflos zusehen, wie der Wasserspiegel unerbittlich höher steigt und den zu erwartenden Tod durch Ertrinken immer näher rücken lässt.
Ähnlich aussichtslos erscheint die Verteidigung gegen die Methode eines englischen Serienkillers, der die Badenden blitzschnell an den Füßen unter Wasser zu ziehen pflegte. Vor Nachahmung sei gewarnt, denn der durch die Nase hoch gedrückte Wasserschub führt zur sofortigen Bewusstlosigkeit, wie das kriminalistische Experiment mit einer Versuchperson ergab, das auf diese Weise die Überführung des Täters ermöglichte.
Hier erweist sich auch, wie wenig das Badezimmer als sichere Zuflucht taugt. Der Instinkt, sich bei drohender Gefahr im einzigen von innen abschließbaren Ort der Wohnung zu verbarrikadieren, ist verständlich, aber das Bad stellt sich schnell als ausweglose Sackgasse heraus. Im cineastischen Ernstfall ist das Badezimmerfenster immer zu schmal, als dass sich der Protagonist hinauszwängen könnte, ohne stecken zu bleiben, wie Shelley Duvall es in „The Shining“ erleben muss, als nur ihr Sohn dem rasenden Ehemann durch das kleine Fenster entkommen kann. Dem Opfer bleibt in der Regel keine andere Wahl, als angstvoll hinter dem Duschvorhang kauernd darauf zu warten, ob der Retter noch kommt, bevor die energischen Beilhiebe des Täters die Badezimmertür aufgebrochen haben. Der Tatort Bad muss unfreiwillig als Hort der letzten Hoffnung dienen.
Wenn alles zu spät ist, bietet der Tatort Bad den Verstorbenen immer noch diverse Gelegenheiten, um der Nachwelt durch posthume Hinweise die Identität des eigenen Mörders zu verraten, wie in „What lies beneath“, wo Harrison Ford und Michelle Pfeiffer durch übersinnliche Phänomene im Badezimmer mit einem unaufgeklärten Todesfall konfrontiert werden. Bevor das Bad und die Badewanne zum Tatort eines weiteren Mordes werden, funktioniert die Nasszelle hier als Tor zum Jenseits, aus dem geisterhafte, mysteriöse Botschaften geschickt werden. Wie in einer narzisstischen Identitätskrise sieht das zukünftige Opfer das Antlitz des früheren Opfers neben dem eigenen Spiegelbild auf der glatten Wasseroberfläche der Badewanne, was zudem der homöopathischen Vermutung Rechnung trägt, dass Wasser ein eigenes Gedächtnispotential besitzt. Als diese gespenstische Vision noch nicht reicht, um die Frau davon zu überzeugen, dass sie in Gefahr ist, erscheint der eindeutige Hinweis als Menetekel auf dem dampfbeschlagenen Badezimmerspiegel.
Die Indizien kulminieren zur symbolistischen Ahnung. Aufsteigende Dampfwolken vor dem Nirwana weißer Badekacheln, das überirdische Gletscherlicht der Leuchtmittel, die Heilsversprechungen des Wassers und das Spiegelbild als immaterielles Substrat physischer und psychischer Offenbarungen erweitern das Badezimmer zur transzendenten Erfahrung. Körper und Seele verschmelzen in einer spirituellen Dimension, die Polarität von Geist und Materie wird aufgehoben. Befreit von irdischen Zwängen manifestiert sich das Bad über den Tatort hinaus als ein jenseits aller Begriffe liegender Zustand der Dritten Art.
Francois Truffaut: Mr. Hitchcok, wie haben Sie das gemacht?
Fjodor Dostojewski: Verbrechen und Strafe
Psycho
A Nightmare on Elm’s Street
Red Heat
Eastern Promises
Taxidriver
Loriot, Animation:„Zwei Herren in der Badewanne“
Mirrors
The Shining
Repulsion
See no evil
Crimes and Misdemeanors
Diabolique
Charade
Fatal Attraction
What lies beneath